25.01.2016 14:12 Uhr

Bundesministerium für Gesundheit (BMG) tappt bei Heilmitteln im Dunkeln – es fehlen konkrete Daten zur Einkommens- und Versorgungssituation

Die Antwort auf eine Anfrage der Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg (Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN) macht überdeutlich: Verlässliche Daten zur Einkommenssituation der Heilmittelerbringer gibt es nur im stationären Bereich; zur wirtschaftlichen Situation der mindestens viermal so großen ambulanten Versorgung in der Heilmittelpraxis um die Ecke fehlen dagegen verlässliche Zahlen. Das BMG kennt nämlich nur die globale Ausgabenentwicklung bei den Krankenkassen im Heilmittelbereich, für die es handfeste Argumente gibt, nämlich den kontinuierlich steigenden Bedarf an therapeutischen Leistungen:

Steigende Ausgaben für Heilmittel, mehr Berufsangehörige und steigendes Vergütungsvolumen durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – daraus schließt die Bundesregierung völlig zu Unrecht eine stabile Lage der Heilmittelerbringer in Deutschland und schmettert eine Kleine Anfrage einiger Abgeordneter der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN nach der prekären Einkommenssituation der Heilmittelerbringer ab. Dabei bleiben wesentliche Entwicklungen der letzten Jahre bei der therapeutischen Versorgung der Patientinnen und Patienten in Deutschland auf der Strecke. Offenkundig fehlen der Bundesregierung auch branchenspezifische Informationen zur tatsächlichen Beurteilung der Situation von ergo- und physiotherapeutischen Praxen.

Für den weiter steigenden Bedarf an therapeutischen Leistungen gibt es stichhaltige Gründe:

  • Die Zahl der Krankenhausbetten sinkt, nicht zuletzt auch durch den politisch gewollten Grundsatz “ambulant vor stationär”, seit fast zwei Jahrzehnten. Dies führt zu einem steigenden Bedarf an ambulanten Therapieleistungen.
  • Die Verweildauer der Patientinnen und Patienten im stationären Bereich verkürzt sich kontinuierlich. Die Weiterbehandlung erfolgt in ambulanten Einrichtungen.
  • Immer mehr Menschen benötigen eine stationäre Behandlung mit anschließender ambulanter Weiterversorgung – Stichwort steigende Fallzahlen.
  • Die Zahl der ambulant und stationär durchgeführten Operationen ist massiv gestiegen. Hier schließen sich ambulante Nachbehandlungen an.
  • Durch politisch gewollte Versorgungsoptimierungen steigt der Bedarf an ambulanter Therapie. Ein Beispiel dafür ist das neue „Entlassmanagement“.

In einer älter werdenden Gesellschaft wird sich dieser Trend noch verstärken, denn:

  • Fakt ist, dass mit steigendem Alter der Bedarf an Heilmitteln steigt – Stichwort demografische Entwicklung.
  • Die Menschen leiden immer häufiger an komplexen Krankheitsbildern – sie sind multimorbid.
  • Die Zahl der pflegebedürftigen Menschen steigt – rund ein Drittel von ihnen erhalten zum Beispiel Physiotherapie.

Dies führt zu der entscheidenden bisher nicht beantworteten Frage: Wie stellt die Bundesregierung konkret und sofort sicher, dass die lebenswichtige Versorgung mit Heilmitteln auch für die Zukunft garantiert ist? Voraussetzung dafür ist unzweifelhaft eine auskömmliche Finanzierung der Heilmittelversorgung. Die selbstständige Berufsausübung muss wieder attraktiv werden. Dem steht entgegen:

  • Zwischen den Gehältern der Heilmittelerbringer im tarifvertraglich geregelten stationären Bereich einerseits und im ambulanten Bereich andererseits klafft eine Lücke von etwa 40 Prozent, sagen alle Heilmittel-Berufsverbände übereinstimmend und beziehen sich auf fundierte eigene Erhebungen.
  • Offizielle Zahlen? Fehlanzeige. Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes zum jährlichen Bruttoverdienst fassen zahlreiche Gesundheitsberufe zusammen und verzerren damit den Blick. Vor allem wird nicht zwischen ambulant und stationär tätigen Therapeuten unterschieden.
  • Deshalb gehen die Ausbildungszahlen bei den Heilmittelberufen seit etwa fünf Jahren kontinuierlich zurück, bisher im Schnitt um rund 15 bis 20 Prozent, ebenso sinkt die Verweildauer im Beruf.
  • Eine weitere Hürde ist, dass 98 Prozent aller Ausbildungen zu den Heilmittelberufen kostenpflichtig sind: monatliches Schulgeld von 500 Euro und mehr ist eher die Regel als die Ausnahme.

Elisabeth Scharfenberg, MdB, kritisiert deshalb zu Recht, dass die Antwort des BMG keine Antwort zu den wesentlichen Fragen gibt: „Wir brauchen einen besseren Überblick über die Lage der Heilmittelerbringer und die gegenwärtige Versorgungssituation“, beklagt sie. „Genauso wichtig ist die Versorgungsprognose für die nächsten zehn Jahre!“, fügt Karl-Heinz Kellermann, Vorsitzender des Spitzenverbandes der Heilmittelverbände (SHV) hinzu. „Wir sehen die Versorgung der Patienten im Heilmittelbereich akut gefährdet, unsere Praxen finden nicht mehr den erforderlichen Nachwuchs. Das wird Jahr um Jahr schlimmer: Jetzt muss die Politik handeln.“

Was ist zu tun? „Die Politik muss begreifen, dass die Mehrausgaben im Heilmittelbereich im Wesentlichen morbiditätsbedingt sind, also auf einer kontinuierlich steigenden Zahl von Behandlungsfällen beruht. Für die Rentabilität der Heilmittelpraxen und damit für die dort gezahlten Gehälter ist dies aber völlig irrrelevant, denn der Preis für die einzelne Behandlungseinheit ist viel zu niedrig und hieran ändert die Menge der Behandlungen gar nichts. Hier gibt es eine Einkommenslücke von nahezu
40 Prozent verglichen mit den Tarifgehältern im stationären Bereich. Da muss die Politik ansetzen.“, fügt Karl-Heinz Kellermann hinzu.

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